Eklatante Forschungslücken

Hans Schafranek im Gespräch mit Andreas Puff-Trojan über die „Österreichische Legion“.

Online seit: 05. November 2019

Die „Österreichische Legion“ ist historisch bewanderten Menschen durchaus ein Begriff. Wer sich aber bislang näher mit dieser paramilitärischen Formation beschäftigten wollte, deren Angehörige nach dem Verbot der NSDAP im Juni 1933 zu Tausenden nach Bayern flüchteten, fand kaum Arbeiten zu dem Thema. Diese missliche Lage hat nun mit der Publikation Söldner für den Anschluss. Die österreichische Legion 1933–1938 von Hans Schafranek ein Ende. Gestützt auf eine enorme Fülle bislang unbearbeiteten Archivmaterials hat der österreichische Historiker die Organisationsstruktur, Mentalitätsgeschichte und strategische wie realpolitische Bedeutung dieser bis zu 15.000 Mann starken Formation klar herausgearbeitet.

RECHERCHE Man kann nicht sagen, dass das Verhältnis zwischen Austrofaschismus und Hitler-Deutschland ein historisch neues Feld eröffnet. Doch über die „Österreichische Legion“ haben Sie die erste umfangreiche Publikation verfasst. – Warum ist das so?

HANS SCHAFRANEK Diese Feststellung eklatanter Forschungslücken gilt nicht nur für das Thema „Österreichische Legion“, sondern über weite Strecken der Geschichte des österreichischen Nationalsozialismus insgesamt. Die einzige Gesamtdarstellung zu dessen Entwicklung stammt von einem amerikanischen Forscher, wurde vor 30 Jahren in den USA und 1988 in Österreich veröffentlicht. Es wäre natürlich schön für die „Historikerzunft“, wenn man sagen könnte, dass einer systematischen Erforschung gravierende politische Hindernisse oder eine sehr schlechte Quellenlage entgegenwirken. Aber die Wahrheit ist viel banaler, geradezu unvorstellbar banal: Die meisten Historiker, die sich mit dieser Periode befassen, sind einfach zu faul, in den deutschen Archiven zu forschen. Seit 1. Juli 1994 stehen etwa die riesigen Bestände des früheren Berlin Document Center unter der Verwaltung des Bundesarchivs Berlin und sind optimal nutzbar. Für die Erforschung des Nationalsozialismus, auch in Österreich, hat das eine enorme Bedeutung, vergleichbar mit der Öffnung der sowjetischen Archive nach 1991 für die internationale Kommunismusforschung.

RECHERCHE Und was bedeutet das für die Erforschung des Austrofaschismus allgemein?

SCHAFRANEK Wir stehen in Österreich vor der eigentlich skandalösen Situation, dass sich – sei es im lokalgeschichtlichen, regionalen oder gesamtstaatlichen Kontext – die meisten Historiker bei Forschungen über den Nationalsozialismus vor 1938 ausschließlich oder primär auf „Gegnerquellen“ stützen, also auf die Akten des austrofaschistischen Staatsapparats. Ich habe ja auch eine Reihe von wissenschaftlichen Büchern zur österreichischen Emigration in der UdSSR publiziert und darf daher zum Vergleich hinsichtlich des Forschungsniveaus sagen: Ein Kommunismus-Historiker, der seine Erkenntnisse etwa zur polnischen oder brasilianischen KP auf einer Tagung präsentiert, ohne die Moskauer Archive zu kennen, würde mit Schimpf und Schande davongejagt.

RECHERCHE Diese Konstellation wirkt sich demnach auch auf die Inhalte und den Modus von Historiker-Debatten in der österreichischen Zeitgeschichtsforschung um den Nationalsozialismus aus?

SCHAFRANEK Naja, wirklich relevante Kontroversen gab es dazu in den letzten Jahrzehnten unter den österreichischen Historikern nicht, jedenfalls nicht solche, die von der Öffentlichkeit wahrgenommen worden wären, wie etwa in Frankreich, Deutschland oder den USA. Auch die Waldheim-Debatte wurde ja nicht von Historikern ausgelöst. In jüngster Zeit hat sich um die Frage einer Rehabilitierung der Opfer des Dollfuß-Regimes eine öffentliche Auseinandersetzung entwickelt, bei der das Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien eine verdienstvolle Rolle spielt.

RECHERCHE Kann man in gebotener Kürze sagen, was die Österreichische Legion gewesen ist und welche Ziele die NS-Strategen in Deutschland mit der Bildung der Legion verfolgten?

SCHAFRANEK Die Österreichische Legion entstand im Juni 1933 als eine paramilitärische Formation, bestehend aus militanten SA-Angehörigen, die nach dem Verbot der NSDAP im Juni 1933 zu Tausenden nach Bayern flüchteten, wo sie in SA-Lagern kaserniert und von Reichswehroffizieren ausgebildet wurden. Die Legion betrieb unter anderem einen ausgedehnten Schmuggel von Waffen und Sprengstoff und spielte dadurch eine wesentliche Rolle bei der Aufrüstung der illegalen österreichischen SA, weiters bei der Einrichtung von Kommunikationslinien zwischen der emigrierten SA-Führung und den illegalen Kadern in Österreich. Sie führte illegale Kurierdienste durch, Fluchthilfe an der Grenze und nachrichtendienstliche Aufgaben.

RECHERCHE Sie haben rund 150.000 biographische Daten zu 15.000 Legionsangehörigen erfasst. Am Schluss Ihres Buchs gibt es 135 Kurzbiographien zum Führungskorps der Legion. Was für Menschen waren die normalen Legionäre und aus welchen Schichten stammten die Befehlshaber?

SCHAFRANEK Den größten Anteil stellten Hilfsarbeiter und Handwerksgehilfen. Überdurchschnittlich häufig vertreten waren auch Chauffeure und Transportunternehmer, was damit zusammenhing, dass illegale und auch terroristische Aktionen der österreichischen SA hauptsächlich von Angehörigen der SA-Motorstaffeln durchgeführt wurden, die sich dann häufig nach Deutschland absetzten. Das Führungskorps entstammte hauptsächlich Offizierskreisen der k.u.k.-Armee. Viele dieser hochrangigen Legionsangehörigen betätigten sich nach dem 1. Weltkrieg in Freikorps und anderen frühfaschistischen Organisationen militärischer Prägung, ganz ähnlich wie die Spitze der deutschen SA-Führung.

Die meisten Historiker sind einfach zu faul, in deutschen Archiven zu forschen.

RECHERCHE Interessant ist, dass überproportional viele Legionäre aus Bezirken der Steiermark und Kärntens stammen. Gibt es dafür eine Erklärung?

SCHAFRANEK Die Stärke der illegalen NS-Bewegung in dieser Region hing mit alten deutschnationalen Traditionen und einer offensiven „Grenzlandideologie“ zusammen. Relativ, das heißt gemessen an der Bevölkerungszahl, stellte allerdings Salzburg das stärkste Kontingent. Die große Zahl an Legionären aus dem Bezirk Wolfsberg ist vor allem durch die enorme Fluchtbewegung beim Juliputsch 1934 ins grenznahe Jugoslawien zu erklären.

RECHERCHE Am Juliputsch 1934 waren auch Teile der Österreichischen Legion beteiligt. Welche Rolle spielten sie dabei und was für Auswirkungen hatte das Scheitern auf den Status der Legion?

SCHAFRANEK Die Legion insgesamt stand in den Lagern bereits schwer bewaffnet zum Abmarsch bereit, durfte jedoch die Grenze nicht überschreiten, nachdem bekannt wurde, dass Mussolini mehrere Divisionen am Brenner zusammengezogen hatte und internationale Verwicklungen drohten. Eine Gruppe von etwa 50 Legionären, geführt von SA-Standartenführer Hans Geister, umging dieses Verbot und organisierte einen chaotischen Einfall ins westliche Mühlviertel, der besonders blutig in Kollerschlag ausfiel, aber nach einigen Stunden zurückgeschlagen wurde. In der Folge wurde die Legion verkleinert und existierte fortan unter der Bezeichnung „Hilfswerk Nordwest“, mit Lagern in Hessen, im Rheinland und in Norddeutschland.

RECHERCHE Jörg Haiders Vater Robert ist ebenfalls als junger Mann der Österreichischen Legion beigetreten. Welche Rolle spielte Robert Haider innerhalb der Legion? Er ist doch auch am Juliputsch aktiv beteiligt gewesen.

SCHAFRANEK Innerhalb der Legion spielte Robert Haider eine untergeordnete Rolle, doch war er ebenfalls an dem zuvor erwähnten Unternehmen bei Kollerschlag beteiligt. Er äußerte sich dazu bereits einen Tag nach dem Scheitern dieser Aktion, und zwar in Vernehmungsprotokollen der Gestapo, der damaligen Bayerischen Politischen Polizei, die von mir im Bundesarchiv Berlin entdeckt und ausgewertet wurden.

RECHERCHE Beim so genannten „Anschluss“ Österreichs an Deutschland 1938 spielte die Österreichische Legion eine eher untergeordnete Rolle. Und bei der Verteilung von politischen Posten und Funktionen in der „Ostmark“ hatte die Führung der Legion dann weitgehend das Nachsehen. Weswegen hat sich die Mitgliedschaft bei der Legion so wenig bezahlt gemacht?

SCHAFRANEK Der Einmarsch der 8. Armee, die Österreich annektierte, sollte „friedlich“ erfolgen, und man befürchtete von den nach Revanche dürstenden Legionären unkontrollierbare Massaker. Diese Begründung wurde zumindest intern vorgeschoben. De facto hatte aber von den österreichischen und deutschen Nationalsozialisten in Führungspositionen niemand ein Interesse an einer Rückkehr der Legionäre, da es schon zu viele „Anwärter“ auf politische und wirtschaftliche Pfründe gab. Erst durch eine Intervention von SA-Obergruppenführer Hermann Reschny, dem Chef der Österreichischen Legion, bei Hitler persönlich durften die Legionäre überhaupt nach Österreich zurückkehren, allerdings erst Ende März 1938. In Salzburg erlangten einige immerhin höhere Funktionen in der Verwaltung, in den übrigen Bundesländern gingen sie in politischer Hinsicht weitestgehend leer aus. Umso rabiater taten sie sich 1938/39 bei den „Arisierungen“ hervor.

RECHERCHE Welch historischer Stellenwert kommt der Österreichischen Legion aus heutiger zeitgeschichtlicher Perspektive zu?

SCHAFRANEK Die Österreichische Legion stellte 1933/34 in den deutsch-österreichischen Beziehungen einen immens starken Bedrohungsfaktor für das „ständestaatliche“ Regime dar, und dieser reale Faktor wurde durch unzählige Putschgerüchte noch immens verstärkt. Sogar die amerikanische Diplomatie reagierte besorgt auf diesen permanenten Unruhefaktor an der deutsch-österreichischen Grenze. Die Legionäre selbst sahen sich als die Speerspitze bei der erwarteten „Befreiung“ Österreichs im Zuge eines erfolgreichen Machtwechsels. Es bedurfte einer Reihe von innerorganisatorischen „Disziplinierungen“ im Deutschen Reich, um dieses Potenzial einzudämmen, nachdem der terroristische Frontalangriff ab 1935 und besonders mit dem Juli-Abkommen 1936 durch eine Politik der ökonomischen Aushöhlung und politischen Unterwanderung ersetzt wurde. Es ist trotzdem einigermaßen erstaunlich, dass 1938 die Auflösung der Österreichischen Legion reibungslos vonstatten ging, was aber auch ein Indiz dafür ist, dass eine ideologisch überhöhte Form eines inneren organisatorischen Zusammenhalts nicht oder nur rudimentär vorhanden war. Deshalb hat – im Gegensatz zu anderen NS-Organisationen – die Österreichische Legion nach 1945 im rechtsradikalen Spektrum auch keine Spuren im Sinn einer Traditionsbildung hinterlassen.

Hans Schafranek ist promovierter Historiker und freier Mitarbeiter des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes. Seine Forschungsschwerpunkte sind: Vergleichende Diktaturforschung, NS-Bewegung in Österreich und Nachrichtendienste im Zweiten Weltkrieg. Bislang liegen von Schafranek 14 Buchpublikationen zur europäischen Zeitgeschichte 1933 – 1945 vor. Die Publikation Söldner für den Anschluss. Die Österreichische Legion 1933-1938 wurde vom Zukunftsfond der Republik Österreich gefördert.

Andreas Puff-Trojan ist Privatdozent für Literaturwissenschaft und Literaturkritiker in München.

Quelle: Recherche 2/2011

Online seit: 05. November 2019

Hans Schafranek: Söldner für den Anschluss. Die österreichische Legion 1933-1938. Czernin Verlag, Wien 2011. 496 Seiten mit zahlreichen Abbildungen, € 29,90 (D) / € 29,90 (A).