Mistkübelanzünder

Von Elisabeth von Samsonow

Online seit: 05. November 2019

Peinlich genug, dass das Verfahren um vier Studierende sich so lange hinzieht, dass ein Vergleich mit gewissen, die Weltöffentlichkeit bewegenden und verändernden Vorgängen nicht ausbleiben kann. Aus verschiedensten Gründen rückte 2009 die österreichische Studentenschaft ins Zentrum europäischer Aufmerksamkeit, es kündigte sich fast so etwas wie ein kleines 1968 an, eine Generation fing an, über ihre Rolle, ihre Aufgaben und ihre Chancen öffentlich zu reflektieren, sich schließende gesellschaftliche Felder zu befragen, zu kritisieren, eben politisch zu werden. In einem Land, das an großen Umwälzungen immer nur nach gewissen Verzögerungen und Formatveränderungen teilnimmt, war das nun schon bemerkenswert.

Man hätte gedacht, dass sich eine gewisse Genugtuung über das Erwachen dieser Generation einstellen würde, dass dieses Land, dieses glückliche Land, aus der hohen Warte seiner Politik gütig, gnädig, milde und mit mäzenatischem Blick auf die jungen Triebe blickte. Nun aber tat man das nicht. Im Gegenteil. Angesteckt vom neuen Klima des War on Terror, beseelt vom Umschwung des Rechtsstaates in einen Emergency State, beschwingt durch verschiedene Verschärfungen des Paragraphen 278 (der auch erlaubt, Tierschützer als potentiell staatsgefährdende Individuen zu arretieren), dirigierte eine in allen Farben schillernde neoliberale Politik ihre auf internationales Reizniveau regulierte Exekutive hin auf die nun doch eigentlich durch ein gewisses autonomes Ethos bewundernswürdig antihierarchisch strukturierten und organisierten studentischen Proteste.

Im Schatten weltpolitischer Ereignisse schrumpfen die angeblich staatsgefährdenden Taten auf Erbsengröße zusammen.

Die Lehre aus ’68 besagte (so die undeutliche Erinnerung), dass die Geburt des Terrors eine Kreation aus dem Geiste der Universität sei. Aus diesem verhängnisvollen Schluss könnte sich ansatzweise erhellen, was dann passiert ist: Eines Tages nämlich riss eine erschrockene, nichtsahnende Studentin der Kunstakademie die Türe ihrer Studentenwohnung auf in der Furcht, dass sie dieselbe Türe aus eigener Tasche ersetzen müsste, falls, wie drohend bevorstand, die Polizei sie einträte. Sie sieht die Wohnung wenige Sekunden später gestürmt von maskierten und gepanzerten Spezialkräften, die nach Waffen suchen (selbstverständlich vergeblich). Sie und drei weitere, offenbar schon länger observierte Studierende werden festgenommen und in Untersuchungshaft verbracht, während man ihnen vorwirft, Mülltonnen vor einem öffentlichen Gebäude angezündet und in einem weiteren Akt, nämlich der filmischen Dokumentation einer Abschiebung, die öffentliche Sicherheit untergraben gewollt zu haben. (Schon hier muss der Einschub gemacht werden, dass eine ähnliche Anschuldigung für eine Inhaftierung in vielen Ländern, beispielsweise in Italien, nicht ausreicht. Mistkübelanzünden ist dort eine tägliche Beschäftigung vieler Leute. Brennende Mistkübel und brennende Papierkörbe werden hingenommen, wohl oder übel, und nicht mehr als apokalyptische Zeichen gedeutet. Der Philosoph und Ökonom Alfred Sohn-Rethel widmete im Übrigen den einem erweiterten Ordnungsbegriff anhängenden Menschen seine schönste Schrift, Das Ideal des Kaputten. Über neapolitanische Technik.)

Hysterisches Radar

Die Vorwurfsrhetorik im Falle der inhaftierten Studierenden konnte sich aus einem reichen Fundus bedienen, und sie tat dies beinahe automatisch, nachdem endlich das hysterische Radar der Ausnahmezustandsgesellschaft ein geeignetes, ein verdächtiges Objekt gefunden hat. Besonders die juristische Erkenntnis, dass ein Video einer Abschiebung, welches im Rahmen einer Akademiepräsentation als ein Beitrag aktivistischer Kunst ausgestellt worden war, als Nachweis terroristischer Umtriebe gelten könne, gibt wirklich zu denken.

Inzwischen ereigneten sich nun die unterschiedlichsten Aufruhre in Ägypten, in Libyen, in Marokko, in Syrien und im Jemen. Zu Recht betroffen von der Unangemessenheit des politischen Umgangs mit dem Protest der BürgerInnen fühlen wir uns sensibilisiert, solidarisch, hoffend und bangend. Wir sind entsetzt darüber, wie über die Antithese des wirklichen Souveräns, nämlich des Volkes, hinweggegangen, ja hinweggeschossen wird. Das ist der Moment, in dem noch einmal zu fragen ist, welche Maßstäbe eigentlich die Politik ihrem Handeln zu Grunde legt und zu Grunde zu legen hat. Im Schatten dieser weltpolitischen Ereignisse schrumpfen folglich die Scheinriesen-Schatten, die die studentischen Proteste und die darauffolgenden angeblichen staatsgefährdenden Taten geworfen hatten, auf Erbsengröße zusammen.

Wir haben gerade noch den schalen Nachgeschmack einer angeblichen Großtat der Gerechtigkeit, der gezielten Tötung des weltschlimmsten Terroristen auf der Zunge. Wenn der Westen in solchen Momenten eine Genugtuung empfindet über die Verfassung seiner Demokratien, dann sollte auch noch einmal ein sehr klarer und nüchterner Blick auf die Unmaßstäblichkeit von Handlungen wie der beschriebenen Verhaftung der Studierenden gerichtet werden. Wie leichtfertig nämlich das, was den Namen demokratischer Freiheit verdient, im Namen von Sicherheit, Kontrolle und öffentlicher Hygiene preisgegeben wird, ist tief beunruhigend. Wenn wir unser Modell, das Modell der westlichen Demokratien, den post-diktatorischen Gesellschaften als ein Summum Bonum vorhalten, dann wäre es auch an der Zeit, in diesen Demokratien hin wieder abzulassen von jener medial gesteuerten Aufgeregtheit, die die Politik nicht mehr nur begleitet, sondern sie ersetzt.

Es wäre an der Zeit, sich der Freiräume und der sie garantierenden Prinzipien zu versichern, an sich selbst Gefallen zu finden, indem man sich als ein Staat begreift, der, anstatt seine BürgerInnen mit gelegentlichen, punktuellen Eingriffen einzuschüchtern, sich aus reiflicher Überlegung mild, gütig, großzügig und mäzenatisch geriert. Vor allem müsste ein solches gutes Gebot gegenüber den jüngeren BürgerInnen gelten, und zwar auch auf Grund der tatsächlichen Lehre aus ’68: Dass es genau  die unmaßstäbliche Repression ist, die erst wirklich radikalisiert. Dies also ein Appell an die westlichen Demokratien, sich ernsthaft so gut und erstrebenswert zu machen, wie sie in den Augen der heurigen Frühlingsrevolutionen erscheinen wollen.

Elisabeth von Samsonow, geboren 1956, ist Professorin für philosophische und historische Anthropologie der Kunst an der Akademie der bildenden Künste Wien. Zuletzt erschienen Anti-Elektra. Totemismus und Schizogamie (diaphanes, 2007) und Egon Schiele – Ich bin die Vielen (Passagen Verlag, 2010).

Quelle: Recherche 2/2011

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